Ein guter Moment, um zu sortieren - Was ist mit Ihren Bewerbungsprozessen?

Aus einer Zeit, in der ich mal einen neuen Job suchte, habe ich unzählige Berichte von wirklich schlechten Bewerbungsprozessen mitgebracht. Und ich bin sicher, viele von Ihnen haben ähnliche Erfahrungen. Meine liebste Geschichte beginnt mir einer Online Bewerbung und endet mit einer Papier- Bestätigung zum Eingang meiner Bewerbung - nach 4 Wochen! Da kann man nur den Kopf schütteln. 
Ich arbeite mit vielen sehr gut ausgebildeten Menschen, die einen neuen Job suchen, die an den Prozessen, Umgangsweisen und Systemen vieler Firmen wirklich verzweifeln. Es gibt immer noch unzählige Firmen, die nie oder sehr spät reagieren, haufenweise Pflichtfelder und Anforderungen einbauen, unmögliche Kommunikationsformen haben oder die Leute einfach verschrecken, in dem sie Hierarchien aufbauen. 
Der Arbeitsmarkt hat sich zwar verändert - aber wirklich auch langfristig? 
Auch wenn in den aktuellen Zeiten mehr Bewerber als Jobs auf dem Markt unterwegs zu sein scheinen - siehe dazu die Arbeitsmarktstatistik der Arbeitsagentur Mai 2020 - wird es nach wie vor essenziell sein, seine zukünftigen Mitarbeiter von sich und dem Unternehmen zu überzeugen. Ein Abwandern in freie Berufe, Selbständigkeit und soziale und Stiftungsarbeit ist jetzt schon zu erkennen, und wird durch die nachfolgenden Generationen noch verstärkt. Klassische Unternehmen suchen dann vergeblich nach neuen Mitarbeitern und Nachfolgern, wenn sie sich weiter so auf dem Bewerbermarkt bewegen. 
Schauen wir uns doch einmal den klassischen Bewerbungsablauf an. 
Ein Unternehmen schaltet eine Anzeige, die im besten Fall auch gefunden wird - durch teures Marketing bei Stepstone oder weil sie in sozialen Netzwerken gestreut wird -  und einige Interessenten klicken sich durch die ersten Seiten des Bewerbungsformulars. Hier entscheiden schon viele, ob sie überhaupt weiter machen. Zu viele Dateien, die man hochladen muss oder zu viele Pflichtfelder schrecken einfach ab. Aber nehmen wir mal an, ein paar schaffen es durch den Dschungel und klicken auf ’senden’. Nun erhalten sie eine meistens sehr förmliche und wenige authentische Standardnachricht a la „Vielen Dank für Ihre Bewerbung… „. Gut soweit. Nun heißt es, warten. 
Die Bewerbung dreht Schleifen
Was jetzt im Hintergrund passiert, verstehen die meisten Interessenten nicht. Die Bewerbung wird von einem Praktikanten oder der Assistentin des Chefs vorsortiert und weitergeleitet. Bis diese vom nächsten gelesen wird, dauert es durchaus ein paar Tage. Dann - wenn sie nicht nochmal weitergeleitet wird - läuft sie den Weg zurück mit dem Kommentar ‚einladen‘ oder ‚absagen‘. Bis das bearbeitet wird, dauert es wieder ein paar Tage. So kommt es vor, dass ein Interessent erst nach 5 - 10 Tagen wieder etwas hört. Das ist in Zeiten von Echtzeit Kommunikation und Digitalisierung eine Ewigkeit! Der Interessent fühlt sich zurückgeschoben, nicht genug beachtet und überhaupt nicht wertgeschätzt. 
Ein Bittsteller im Unternehmen 
Nun wird ein Interessent eingeladen, und vielleicht haben Sie es schon bemerkt, ich spreche bewusst vom Interessenten und nicht Bewerber. Ein solcher wird oft wie ein Bittsteller im Unternehmen behandelt. „Stellen Sie sich doch mal vor:“ Warum eigentlich? Er hat seine Bewerbung samt Lebenslauf und Motivationsschreiben doch schon abgegeben? Müsste es nicht eigentlich heißen: „Wir haben ganz viele Fragen an Sie.“ oder „Was können wir Ihnen erzählen?“ 
Ein Bewerbungsgespräch wird also schnell zu einem betreuten vorlesen des Lebenslaufes. Einer mündlichen Präsentation also. Und was wissen Sie nun von Ihrem Bewerber? Dass er sich vorstellen kann. Aha. Und wissen Sie auch, wie er arbeitet? Wie er seine von Ihnen bezahlte Leistung einbringt? Welche praktischen Fähigkeiten er hat und wie er im Team arbeitet? Selbst, wenn Sie das fragen, bekommen Sie dann realistische Antworten? Ich glaube nicht. 
Was nützt Ihnen also diese klassische Herangehensweise? Bisher nicht viel. Sie müssen sich als Unternehmen darauf verlassen, was Ihnen das Bauchgefühl sagt. 
Welche Alternativen zum Vorstellungsgespräch haben Sie also?
Ich empfehle Ihnen den ganz kurzen Weg: Einladen und Probearbeiten lassen. Schnell, unkompliziert und direkt im Team. Ohne lange Vorauswahl und Gespräche. 
Ihre Mitarbeiter können den (potentiellen) Neuen doch gleich kennenlernen. Sie erfahren und erleben live, wie das Team ihn aufnimmt, wie er sich einbringt, welche Fragen er stellt und was er kann. Und ihr Team? Das sollte schnell lernen, die richtigen Aufgaben bereit zu stellen, die richtigen Fragen zu stellen und eine warmherzige Atmosphäre zu schaffen. Zumal die Kollegen es ja sind, die dringend Unterstützung brauchen. 
Wem das zu aufwändig ist - man kann als Angestellter ja nicht immer mehrere Stunden vom Arbeitsplatz entfernt sein, und sich für vielleicht 5 verschiedene Firmen frei nehmen und Probearbeiten (oder eben gerade doch?), dann müssen Sie ihn anders testen. Testen im Sinne von probieren. Vergeben Sie Aufgaben, lassen Sie ihn mitmachen und mitdenken. Sie haben während Corona doch gelernt, virtuell zu arbeiten. Das geht auch mit Interessenten. Ich bin sicher, Ihnen fällt etwas ein.  
Ihre Aufgabe, lieber Personaler, ist die Dienstleistung und Beratung im Unternehmen. Sie beraten Ihre Fachkollegen bei der Ausschreibung, suchen die geeigneten Portale raus, helfen beim Schreiben und der Kommunikation und halten Kontakt als Bindeglied zwischen Innen- und Außenwelt. Die Einstellung und Einarbeitung obliegt der Fachabteilung. Sonst heißt es nachher noch: „was hat die Perso denn schon wieder für Leute eingestellt?“      


 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0